Volksschüler
Foto: Innovation Salzburg

5. August 2020

Technische Innovation für gehörlose Kinder

Die Josef Rehrl Schule ist eine Schule für gehörlose Kinder, die vor allem auf Inklusion durch Innovation und Digitalisierung setzt. Das zum Schulstart 2019 eröffnete neue Schulgebäude entspricht den modernsten Standards.

Sie sprechen von draußen und drinnen. Drinnen, das ist in der Schule, wo die Welt ziemlich in Ordnung ist. Draußen ist da, wo Kinder nicht selten versuchen, ihre Hörgeräte unter den Haaren und sich selbst vor Vorurteilen zu verstecken. Tatsächlich wirkt die Josef Rehrl Schule anders als andere. Das merkt man nicht nur am ungewöhnlich niedrigen Lärmpegel. Spätestens, wenn man den modernen offenen Eingangsbereich des neu gebauten Schulgebäudes betritt, ist klar: Hier herrschen andere Töne.

Mit dem Neubau der Josef Rehrl Schule wurde ein Schwerpunkt auf Inklusion durch Innovation und Digitalisierung gesetzt. Das Projekt wurde vom Land Salzburg als Bauherr initiiert und von den Projektpartnern Salzburg Wohnbau, dem Salzburger Architektenbüro kofler architects, der Baufirma Strabag, der Salzburg AG und dem Center for Human-Computer Interaction (HCI) der Universität Salzburg umgesetzt. 130 Schülerinnen und Schüler lernen in teilweise integrativen Volksschul-, Hauptschul- und polytechnischen Klassen auf fünf lichtdurchfluteten Stockwerken. Offene Begegnungszonen, die durch die effiziente Schallisolierung möglich sind, aber auch abgeschiedene Klassenräume und eigene Garderoben für beeinträchtigte Kinder mit besonderen Bedürfnissen spiegeln den individuellen Zugang der Schule zu ihrem Thema wider.

Bewährtes Learning by Doing

„Wir bemühen uns, optimale Voraussetzungen für die Kinder zu schaffen, damit sie sich einerseits wohlfühlen, aber auch die beste Lernerfahrung machen“, so Stefan Fraundorfer, Direktor der Schule. 1996 hat er sich zum ersten Mal ein Konzeptpapier „auf drei Seiten“ zu dem Schulversuch für Hörbeeinträchtigte und Hörende überlegt, das von Land und Bund genehmigt wurde. Seither hat sich die Schule als einzigartige Lerninstitution in Salzburg entwickelt. Neben dem Hörtraining ist Gebärdensprachenunterricht für alle ein Pflichtfach und bei Bedarf wird auch Logo-, Ergo-, und Psychotherapie angeboten. Der Zugang der speziell ausgebildeten Lehrkräfte zu den Schülerinnen und Schülern ist ein sehr sozialer, der „über das Normale hinausgeht und weit in die Freizeit reicht“, so Fraundorfer. Das bekommt das Lehrpersonal auch in doppelter Portion zurück: „Die Schüler sagen immer, sie freuen sich, wenn die Ferien endlich wieder vorbei sind.“

Schwingboden macht Musik erlebbar

Softwaretechnisch entspricht das zum Schulstart 2019 eröffnete, 13,5 Millionen Euro teure neue Schulgebäude den modernsten Standards. Und es passt sich gleichzeitig den speziellen Bedürfnissen der Lernenden an: Alle Klassenräume wurden mit digitalen, interaktiven Tafelsystemen, schallabsorbierenden Pinnwänden und multifunktionalen Soundhubs, deren Übertragung auch über Hörgeräte empfangen wird, ausgestattet. Ein Bereich des Lesesaals wurde vom HCI zu einem professionellen Videoaufnahmestudio umfunktioniert, das Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung steht, um beispielsweise Hausaufgaben für Schülerinnen und Schüler aufzuzeichnen. Im Turnsaal entwickelte das Team des Centers für HCI eine visuelle und akustische Trillerpfeife in Form einer Signalleuchte, die mit einem Druckknopf bedient wird. Die Leuchte ist in den Klassenräumen und Hallen angebracht und gibt durch Ton und Licht auch das Signal zur Pause.

Im Musikraum betritt man eines der technischen Highlights: den Schwingboden. Diese besonderen Bodenplatten wurden in einer Kooperation von der Firma Pansound, der Salzburg Wohnbau, der Schulleitung und dem Center für HCI konstruiert. Eine eigens entwickelte Software ermöglicht es, Musik über Schwingungen im Boden zu erleben. Schall wird dafür inVibration umgewandelt. Tatsächlich bestätigte ein Experiment der Projektleitung, bestehend aus Alina Krischkowsky und Martin Murer vom Center für HCI, in der ersten Entstehungsphase des Musikzimmers ihre Annahme: Professionelle Musikerinnen und Musiker konnten – ohne zu hören – gemeinsam spielen. „Ein vergleichbares Erlebnis ist es, einen Basston bei einem lauten Konzert im eigenen Körper vibrieren zu spüren. Wir nehmen nämlich Schwingungen unter 250 Hertz über die Haut wahr. Schwingböden gibt es allerdings schon einige, die haben wir nicht erfunden. An was wir aber kontinuierlich tüfteln, ist die Technik dahinter, um die Eigenarten der Instrumente und vor allem Töne durch die Signalverarbeitungssoftware noch besser zu vermitteln. Dafür arbeiten wir eng mit Musikern, Lehrern und Schülern zusammen“, so Murer.

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Martin Murer und Alina Krischkowsky vom Institut für Human-Computer Interaction sorgen für Inklusion durch Digitalisierung. (Foto: Innovation Salzburg)

Es wird weitergeforscht

Die Panels im Fußboden können einzeln oder gemeinsam bespielt werden. So werden verschiedene Instrumente mit den Bodenplatten verknüpft. Zusätzlich gibt es eine Körperschallwand, die nach demselben Prinzip funktioniert, nur wird hier die Musik mit dem Rücken anstatt den Füßen wahrgenommen. „Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, wir arbeiten weiterhin mit den Lehrern zusammen um festzustellen, welche anderen Nutzungsformen es noch geben könnte“, sagt Krischkowsky. Als Grundstein für das gelungene Projekt nennen die Beteiligten auch immer wieder die gute Zusammenarbeit der Projektpartnerinnen und -partner. Roland Wernik, Geschäftsführer der Salzburg Wohnbau GmbH, sieht die Kooperation mit dem Center für HCI vor allem als eine große Bereicherung: „Das Besondere am HCI ist der interdisziplinäre Zugang, die analytische Vorgangsweise und die Bereitschaft, auch während des Forschungsprojektes auf zusätzliche spezifische Anforderungen der Rehrl Schule einzugehen. Das Ergebnis ist eine Bildungseinrichtung, die als Vorbild für weitere Einrichtungen dieser Art in Österreich noch weit in die Zukunft wirken kann.“

Künstlerische Vermittlung des Schul-Miteinanders

Zurück zur Eingangshalle, für die sich das Team des Centers für HCI eine ganz besondere Begegnungszone ausgedacht hat. Führt man drei technisch-künstlerische Elemente zusammen, ergeben sie ein schulrelevantes Rätsel, das sich Tag für Tag computergesteuert ändert. Auf einer langen digitalen Anzeige bewegt sich dafür die Videonachricht einer Person, die in Gebärdensprache kommuniziert. Die Sequenz wandert fließend über die Tafel weiter, man muss sich immer wieder neu ausrichten, um ihr zu folgen. Das hat einen ganz bestimmten Grund: „Wir haben beobachtet, dass sich hörende und gehörlose Kinder im Unterricht immer wieder aneinander adjustieren. Das macht auch Sinn, wenn man Lippen und Gebärden liest. Das war für uns wirklich augenöffnend, ein wahrer Aha-Moment, diese Beobachtung“, sagt Murer. Im Verborgenen sind außerdem vier Tonspuren verortet, die es zu entdecken gilt. Für alle, die kein Hörgerät besitzen, liegen spezielle Kopfhörer parat, mit denen man den Tönen nachspüren kann. Der dritte Installationsteil ist ein riesiges Wandelement aus schwarz-weißen, drehbaren Plättchen, das sich über Nacht immer wieder neu ausrichtet und dann ein neues Symbol darstellt. Die, die sich auf diese einzigartige Schnitzeljagd begeben und alle drei Hinweise zusammenführen, werden dem aktuellen Thema auf die Spur kommen. Der Eingangsbereich spiegelt so die ganze Schule wider – das harmonische Miteinander, das Gegenüber und den Austausch zwischen Hörenden und Gehörlosen.

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